UNVORHERSEHBARE KARIERE

Die von Journalisten mehr als ein Viertel Jahrhundert nach der Wende oft gestellte Frage an einstige DDR-Bürger nach ihrer persönlichen Zufriedenheit, beantworten selbst die hartgesottensten Gestrigen mehrheitlich positiv. Manch einer sogar euphorisch.

Als ich unlängst meine örtliche Sparkassenfiliale aufsuchte, um eine Fehlabbuchung mit einer Null zu viel vor dem Komma korrigieren zu lassen, verwies mich die junge Angestellte an den Chef, Herrn Bradhering ….. „aber mit De statt Te !“, wie sie lächelnd hinzufügte  Immerhin – egal ob mit De oder Te – ein außergewöhnlicher Name, der mich allerdings an einen ehemaligen Klassenkameraden dieses Namens erinnerte. Ich fand ihn damals gar nicht so schräg, da Ecki, wie wir ihn nannten. vom Darß stammte. Vielleicht hatten seine Vorfahren die Zubereitung jenes Gerichts – allerdings mit T – einmal erfunden.

Chef Bradhering stellte sich als beleibter, freundlicher Mittfünfziger heraus, dem eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem einstigen Klassenkumpel nicht abzusprechen war.

Neben erfolgreicher Korrektur der Null einschließlich einer Entschuldigung, erfuhr ich schließlich auch das Verwandtschaftsverhältnis. Er war Eckis Sohn..   

Über seinen Werdegang – wie ich mich erinnerte – hatte mir Ecki bei einem unserer späteren Klassentreffen berichtet. Als Vater, der wie selbstverständlich sich erfolgreiche Nachkommen gewünscht hatte, gab er seiner Enttäuschung über die Berufswahl Ausdruck. Eine akademische Laufbahn seines Sohnes Maik hätte ihn mit Stolz erfüllt.

So aber hatte Maik Ende der siebziger Jahre nach der zehnten Klasse in einer Brandenburgischen Kleinstadt eine Lehre als Bankkaufmann bei der örtlichen Sparkasse aufgenommen, da sein Zensurendurchschnitt für einen Platz in der Erweiterten Oberschule mit Abi-Abschluss höchstens dazu ausgereicht hätte, sich vorzeitig zu verpflichten, um nach dem Abitur eine Offizierskariere bei der NVA anzutreten. Davor riet ihm Vater Ecki jedoch ab, was Maik schon insofern akzeptierte, da Khaki und Grünbunt nicht nach seinem Geschmack waren. Alsbald empfand er jedoch, dass er auch als läppischer Bankkaufmann wohl die Arschkarte gezogen hatte, wie er sich seinerzeit ausdrückte, da im A.- und B.-Staat dieser Beruf weder ein privilegiertes Image hatte noch Maiks monatliche Bedürfnisse abdeckte.Als Klempner zum Beispiel konnte man – wie sein Busenfreund Timmi – nach Feierabend noch richtig Knete machen – und das sei ja letztendlich der eigentliche Sinn eines Jobs. Sein einziger Trost war lediglich, dass man weder in anderer Leute Scheiße rumstochern musste, noch sich jedweden Witterungsunbilden aussetzen musste.

Doch es war schon ärgerlich, dass er die Gelegenheit nich wahrnehmen konnte, als ihm ein achtzigjähriger Nachbar, dem er ab und zu einen Gefallen tat, seinen erst fünf Jahre alten Trabi anbot, und das lediglich zum Neupreis. Er hatte eben das nötige Sümmchen nicht. Für einen popligen Sparkassenangestellten war selbst so ein Schnäppchen unbezahlbar..

So dümpelte er dahin, und wenn er die flotte Frisörin Peggy nicht kennen gelernt hätte, die neunzig Prozent ihres damit hinreichenden Auskommens aus Trinkgeldern und Feierabendkundschaft bestritt, wären die Wochenenden samt der Disco-Abende recht ernüchternd ausgefallen.

Aus Dankbarkeit schwängerte er Peggy alsbald, um in der Folge noch rechtzeitig vor den Vaterfreuden in den Hafen der Ehe einzulaufen und damit das Recht auf Antrag für eine Wohnung zu erwerben.

Das alles aber ist nur die Vorgeschichte jenes nicht vorhersehbaren Aufstiegs in einem Land mit freier Wirtschaft, in dem man nunmehr als Bankkaufmann auch ohne Feierabendjob sein gesichertes Auskommen samt Image hat. 

„Grüßen Sie ihren Vater von mir!“, sagte ich beim Abschied. „Er wird sich sicher noch gern an gemeinsame – sagen wir Erlebnisse – erinnern. Wie geht es ihm?“ Bradhering Junior schmunzelte. „Irgendwann nach der Wende überraschte er mich, als er mich ansah und sagte: „Vielleicht hätte ich statt Kunstgeschichte zu studieren, eine Banklehre vorziehen sollen.“  

KOKETTERIE

Der Hang zur Koketterie ist innerhalb der Altersstrukturen in unserer heutigen Gesellschaft höchst unterschiedlich: Während die Alten damit kokettieren, dass sie auch ganz gut ohne die neuen Medien zu beherrschen leben können, kokettieren die Jungen mit der Entbehrlichkeit unnötiger Kenntnisse in Mathe und Rechtschreibung.

LENNY

Mein Urenkel Lenny brachte am letzten Schultag vor den Sommerferien sein Zeugnis mit dem Vermerk der Versetzung in die dritte Klasse nach Hause.

Beim Studium der Einschätzungen seines Verhaltens und seiner Leistungen habe ich am Ende laut gelacht. Nicht nur darüber, dass Brandenburgs Lehrer der Grundschulklassen derzeit auf dem Zeugnis mit lediglich ein paar Dutzend Kreuzen und einer Unterschrift auskommen. Trotzdem hatte ich im Vergleich zu eigenen Erfahrungen und jenen der von Sohn und Enkel hinsichtlich des Verständnisses von Schulzeugnissen meine Probleme. Die „gute alte Zeit“ bescherte den Schülern  lediglich Noten von eins bis sechs, das hieß: von sehr gut bis ungenügend. Kreuze waren eher als Unterschriften von Analphabeten üblich.

Die heutigen Kreuze, nunmehr auf drei DIN-A4-Seiten in vorgedruckte Rubriken eingetragen, die zusätzlich in jeweils in vier verbal benannte Qualitätsmerkmale unterteilt sind, habe ich für mich aus rein logischen Erwägungen und zum besseren eigenen Verständnis als Zensuren von eins bis vier eingestuft.Dadurch versuchte ich mir nach altem Vorbild eine leidlich reale Einschätzung zu verschaffen.

Neben der Minderzahl an althergebrachten Lehrfächern gab es da ein Übermaß an Sonstigem wie:  Soziales Verhalten, Aufmerksamkeit, Mitarbeit, persönliche Aktivitäten und vieles mehr.

In den meisten der angekreuzten Rubriken lag die Beurteilung meines Urenkels nach meiner Definition zwischen eins und drei. 

Nun aber kommt meine Lachnummer. Drei Fächer wurden jeweils in sämtlichen vorgegebenen Aspekten mit eins beurteilt. Das betraf: Sport, Musik und Religion.

Ich konnte mir dabei nicht verkneifen, heimlich Lenny ein raffiniert zukunftsträchtiges Verhalten zu unterstellen. Als Spitzensportler muss man um ein gutes Einkommen nicht bangen, als Schlagerfuzzi lässt der „Ballermann“ nicht nur kein Auge trocken, sondern auch kein Konto leer;  und nach einem Theologie-Studium kann man auf einen gut dotierten Posten in der Politik hoffen.

Somit habe ich keinerlei Einwände gegen das Ergebnis, auch wenn für mich jene Form von Schulzeugnis etwas gewöhnungsbedürftig war.  

ELLY

Elly ist meine Urenkelin. Sie ist fünf und tummelt sich täglich von neun bis nachmittags um vier in ihrer Kita, in der gutausgebildete (und weniger gut bezahlte!) Vorschulerzieherinnen nicht nur mit Kinderliedchen und Hopsasa aufwarten, wie es in konservativen Kreisen manchmal noch als ideale Betreuung herumspukt.

Unlängst erklärte die Erzieherin ihrer Gruppe die wichtigsten inneren Organe des Menschen. Danach stellte sie die Frage, ohne welches dieser Organe der Mensch wohl nicht leben könne. 

Bei den vielfältigen Antworten ließ Elly Herz und Lunge zwar gelten, als aber einer der Gruppe das Gehirn nannte, war Elly mit ihrem Protest nicht aufzuhalten und begründete diesen so: „Ohne Gehirn kann der Mensch sehr wohl leben, er ist bloß ein bisschen verwirrt!“

So etwas kann den besagten, traditionsbehafteten Müttern in den südlichen Regionen unseres Landes wohl kaum zu Gehör kommen, da eine respektable Mehrheit die lieben Kleinen nicht einfach so in fremde Hände gibt und stattdessen lieber monatlich 150 Euro kassiert. Dazu sagt man in den betreffenden – eher von Wohlhabenden besiedelten Regionen: Betreuungsgeld. Bekannter ist jener Seehofer-Bonus als „Herdprämie“ Seit dem 21. Juli soll laut Beschluss der Verfassungsrichter doch endlich Schluss sein mit der Farce.

Ob die einstigen Erfinder und Befürworter nun verwirrt sind?

GEILER GEIZ

Abgesehen davon, dass der geile Geiz, der mit Sparsamkeit wohl am allerwenigsten zu tun hat und inzwischen für alles Käufliche (einschließlich von Flatrates für den Puff) propagiert wird, gibt ein umfangreicher Teil der Wohlstandsbürger ein Mehrfaches seiner Knete gegenüber der Kosten für den täglichen Bedarf für das nicht mehr wegzudenkende, handliche Ding und dessen ohne Unterlass weiter optimierte Universalgeräte aus, mit denen inzwischen fast alles möglich ist 

Auch jener Begriff, dem man heute gern ein positives Mäntelchen verleiht und der als „Nachhaltigkeit“ formuliert wird, hat zum Beispiel nichts mehr mit vergangener langlebiger Ausstattung zu tun, wie es dunnemals üblich war, und mit einer Hochzeitstruhe voller Aussteuer fürs Töchterchen schon gar nicht. Heute erwirbt man eher zehn T-Shirts a eins-fünfzig statt nur eins für fünfzehn Euro. Die zehn Dinger kann man einfach nacheinander anziehen und anschließend – mir nichts, dir nichts – in die Abfalltonne hauen und erspart sich dabei noch das Waschen. Als Alternative dazu gibt es allerdings teure Markenprodukte, mit denen man die Konkurrenz aus dem Feld schlagen kann, zum Beispiel die bodysteifen Be-Has von Susi Pampelmusi. 

Für intelligente Komik halte ich mir immer ein Ohr offen. Wenn diese Komiker der Werbebranche mich aber mit pseudowissenschaftlichen Argumenten verarschen wollen, bleibt ihr beworbenes Produkt ein witzloses Blabla, das mich letztendlich zu einem nicht zu überzeugenden Werbemuffel werden ließ.

Mein dementsprechendes Verhalten ist ja keineswegs unbegründet, wenn man sich einiger dieser werbenden Slogans einmal konkret widmet, bei denen ich mich meist frage: „Um welches Produkt mag es sich dabei wohl handeln?“ Grundsätzlich fühle ich mich bei aller Fantasie überfragt:  Beispielsweise, wenn es da für ein rezeptfreies Pharma-Produkt heißt: „…..Pisopott gegen nächtlichen Harndrang mit der vierfachen Kraft der Herbstpistel“ (oder so ähnlich). Wieviel mag wohl das Vierfache einer undefinierten Kraft sein?

Nicht besser steht es mit jener Zahnpasta, die uns sauberere Zähne verspricht. Ich dachte immer: sauber sei sauber! So kann man sich irren.

Warum wohl 91% der Kunden „Popo-Wisch“ und nur 89% „Bläh-Stop“ weiterempfehlen, wird mir sicher ein ewiges Rätsel bleiben. 

Auch die genau mit 83% angegebenen besseren Chancen für einen Job – nach dem Besuch eines nicht gerade unentgeltlichen Kurses – machten mich stutzig. Trotz gediegener Kenntnisse hinsichtlich der Prozentrechnung blieb mir auch hierbei eine Nachvollziehbarkeit des Ergebnisses verborgen. Nachhaltig scheint mir auf dem Gebiet der Werbung lediglich das Echo zu sein, das ausnahmslos wie „Sale!“ klingt.

Eine echte Nachhaltigkeit findet man allerdings im Prinzip der Protagonisten, die diese beworbenen Produkte auf den Markt bringen und – dank konsequenter Besitzorientierung – klingende Münze in Macht verwandeln können, ein geniales Prinzip, das sogar auch reziprok funktioniert und ab einer gewissen Rendite ihre Anwender gar in die Reihen der Eliten befördert.

EIN SCHNÄPPCHEN IN EHREN……

Der Begriff „Schnäppchen“ entbehrt nicht einer gewissen Komik. Der Erwerb eines Sogenannten füllt oft nutzlos Kleiderschränke, Küchen- und Kellerregale sowie Dachböden und sonstige Gelasse. Insoweit erweisen sich jene einst unüberseh- und überhörbar beworbenen Angebote meist jahrelang als überflüssige Raumfüller die Lagerstätten, um oft irgendwann ladenneu in einem Altkleider-Container oder im Sperrmüll zu landen. Somit steht ihnen trotz unbenutzter Langlebigkeit gerechterweise zumindest das viel gepriesene Adjektiv„nachhaltig“ zu, das ja nichts über den Gebrauchswert eines Produkts aussagt. 

Ich selbst bin – warum auch immer – weitestgehend immun gegenüber jedweder Werbung und sehe es nicht einmal als Diffamierung an, wenn man mich als Kauf-Muffel bezeichnet. Werbung hat bei mir so wenig Erfolg, dass ich diese über das Maß einer sachlichen Produktinformation hinsichtlich realer Qualitätsmerkmale hinaus für absolut überflüssig erachte. Selbst sogenannte  „exklusive Markennamen“ haben da keine Chance. Jeder hat eben so seine ganz persönlichen Macken und Defizite.

Das Anhängsel „chen“, (wie bei Schnäppchen) hat ja in unserer Muttersprache (Eine Vatersprache ist den Bestrebungen maskuliner Emanzipation bisher noch schuldig geblieben), ist also in unserer Muttersprache neben dem „lein“ am Ende eines Substantivs ein sogenanntes Diminutivum, wie es der Gebildete bezeichnet; aufs allgemein Verständliche übersetzt: es hat die Funktion der Verkleinerung, wobei der allwissende und weise Ratgeber Duden in diesem konkreten Fall über ein entsprechendes Substantiv für die Normalgröße, das ja logischerweise etwa „Schnapp“ heißen müsste, sich in Schweigen hüllt.

Aber es geht wohl offensichtlich bei diesen Schnäppchen nicht lediglich um Kleinigkeiten. Neulich erst traf ich den Orje Paschke, der früher mal Kühlschränke reparierte und danach rechtzeitig im Speckgürtel der Hauptstadt in die Immobilienbranche wechselte, als seine Tante Norma ihm das desolate Gelände ihrer einstigen Gärtnerei vererbte, das er wiederum anschließend als Bauland günstig verhökern konnte. Er erzählte mir, dass er gerade eine alte Villa für anderthalb Millionen im Angebot habe, und das wäre ein echtes Schnäppchen. Da scheint bei dem Begriff Schnäppchen wohl Nachbesserung vonnöten. Vielleicht gibt es früher oder später doch mal den Schnapp.

Im einstigen Arbeiter- und Bauernstaat gab es ja so etwas wie Schnäppchen überhaupt nicht. Woher sollte es auch resultieren zwischen all den Engpässen? Und daher wussten viele Ossis gar nicht, worum es sich dabei überhaupt handelt. Sie dachten, sie hätten vielleicht nicht richtig verstanden. Es könnte nur ein Schnäps-chen gemeint sein, und dies nahmen sie dann auch regelmäßig zur Brust, denn daran war kein Mangel. Aber umgehend nach der Wende gab es dann in der Ex-DDR doch die richtigen Schnäppchen, und die konnte man von der Treuhand beziehen – das heißt allerdings: nicht diejenigen, die immer nur Schnäpschen verstanden hatten, ihnen bot man auf bunt beflaggten Märkten unter jenem Begriff Autos an, die Cleverlies in den Alt-Bundesländern vom Schrott geholt hatten. 

UNSERE LÄDEN

Kürzlich geriet ich innerhalb der Fernsehprogramme zu einer aktuellen Reportage über Armut in Deutschland. Da ich nicht hinter dem Mond lebe, brachte mir die Sendung kaum etwas Neues – mit einer einzigen Einschränkung: dem Schlusskommentar der Moderatorin jener Reportage. Voller verbalem Mitgefühl verkündete sie, dass eine der vorgestellten Protagonistinnen, eine allein erziehende Mutter, ihren alltäglichen Bedarf ausschließlich in Discount-Läden befriedigen könne. Vielleicht ein bisschen weit hergeholt, fiel mir eine unvergessliche, im umgekehrten Sinn analoge Episode aus längst vergangenen Tagen ein. Es waren tiefste DDR-Zeiten, als eine gute Bekannte, Gattin eines Zahnarztes, in einer Tischrunde von „unseren Läden“ sprach, womit sie nicht etwa Konsum und HO meinte, sondern „Exquisit und Delikat“ mit gepfefferten Ostmark-Preisen und dem „Inter-Shop“ mit harter Währung. Damals blieb mir nichts anderes übrig, als die Formulierung „unsere Läden“ widerspruchslos zu überhören, um kein Mitleid zu erregen……….

Heute dagegen sollte ich wohl meine Einkäufe in Discount-Läden lieber verschweigen, um nicht einem absolut unangebrachten Bedauern zum Opfer zu fallen.