DA REICHTEN WOHL DIE ZEHN FINGER NICHT

Meine Tageszeitung brachte am 23.Juni einen Bericht über den Maler Gerhard Richter hinsichtlich seiner Ausstellung im Potsdamer Museum Barberini. Dabei wurde auch sein Geburtsjahr 1932 genannt. Soweit so gut! Doch nur ein paar Zeilen später begann ein Satz mit:……der 88-jährige Künstler…..Komisch! Ich bin Jahrgang 1931 und werde erst gegen Jahresende 87. 

War das nun ein Prominenten-Bonus oder als mathematischer Missgriff irgendwelcher Pisa-Studie zuzuordnen?  

WENN DER HAHN KRÄHT AUF DEM MIST………

Das ist für mich auch deutsch:

In der Tagespresse (MAZ vom 18. Juli) erschien ein Beitrag, den ich in seinem Realitätsgehalt für noch unzutreffender erachte als die alten Bauernregeln hinsichtlich des Wetters, in denen lediglich der pure Zufall ab und an einen Treffer zulässt.

Der Autor, der sich auf eine sogenannte Studie nach Umfrage einer Unternehmensberatung beruft, listet in der veröffentlichen Aussage neunzehn Autotypen auf, denen er jeweils ganz speziell eine Reihe persönlicher Charakteristika ihrer Eigentümer oder Nutzer zuschreibt.                                      

Beispiel: MERCEDES 

Zitat: „Deutschlands Spießer fahren einen Mercedes. Sie sind arrogant, ernst, unsportlich und nicht umweltbewusst – und positive Eigenschaften haben sie eigentlich nicht. Immerhin haben sie mehr Geld als die meisten anderen.“ 

Sämtliche Qualifizierungen in den Plädoyers des Autors tendieren zwischen Lobhudelei und Diskriminierung. Imagegeilheit erscheint als die positivste Bewertung, Einschätzungen, die ich nicht nachvollziehen kann und nach deren zur Kenntnisnahme ich nicht ungern dem Verfasser – außer Oberflächlichkeit und fehlender Recherche – gern auch ein paar deftigere Attribute verpassen könnte. Ich weiß allerdings nicht so recht, ob er, wenn ich ihn als Depp bezeichnen würde, sich nicht wie ein Hollywood-Star vorkäme.

Zunächst vermutete ich in dem Artikel ja eine satirische Betrachtung über des Deutschen Liebling und seinen jeweiligen Gasgeber. Doch darüber macht man wohl in unserem Land keine Witze. Es war also offensichtlich ernst gemeint und sollte demzufolge die Realität widerspiegeln   

Ich muss ja die Meinung des Autors und seiner Ratgeber nicht teilen.Wer für sein Image überhaupt einen fahrbaren Untersatz braucht, hat den Wettbewerb um ein positives Image von vornherein verloren. Die Wahl eines Fahrzeugs hat beim normalen intelligenten Bürger (hoffentlich der Mehrheit!) ganz andere Prämissen, die allerdings in der angeblichen Studie überhaupt nicht vorkommen, Prämissen der in Wahrheit wirklich coolen Typen.                                                   Nicht ein einziger meiner Familie, Freunde, Bekannten oder Nachbarn entspricht nur im Geringsten der angeblichen Umfrage. Jene Veröffentlichung sollte wohl eher ausschließlich das Einkommen des Autors aufbessern.                                                                                                                         Wer nur image-geil ist, lebt stets unzufrieden, denn er gerät sein Leben lang stets ins Hintertreffen.

Als bekennender Mercedes-Fahrer (seit 20 Jahren mit dem gleichen Benziner!) der als Umwelt-Yankee weder nennenswert arrogant noch unsportlich ist, der lediglich das ernst nimmt, was man nicht als Ulk unter den Tisch kehren sollte, und der nicht mit finanziellem Reichtum gesegnet ist, bekenne mich jedoch zu jenem zugeteilten Begriff „Spießer“ – wenngleich in einem absolut anderen Begriffs-Verständnis. Ich spieße allzu gern das auf, was Mitmenschen zu Deppen macht, um sie von den realen Problemen fern zu halten. Vielleicht wäre da die Bezeichnung „Aufspießer“ wohl zutreffender.  

TYPISCH DEUTSCH?

Seit die AfD nunmehr im Bundestag sitzt und offensichtlich in den Medien Vorrang genießt, (warum eigentlich?) wird man (quasi als Alternative?) allenthalben von der Presse und anderen Gremien gefragt: „Was ist für Sie (dich) typisch deutsch?“

Mir fiel auf diese Frage ad hoc nichts Besseres ein, als die Antwort: Diese Frage. Sie animiert zur Ein- und damit zur Ausgrenzung. Eigentlich hätte ich die Fragestellung nur aus Kreisen der AfD vermutet. Ich habe dabei das ungute Gefühl, dass man bei Beantwortung dieser Frage Antworten erwartet, die mich an „Deutschland, Deutschland über alles…“ erinnern. Aber wer ist überhaupt prädestiniert, diese Frage zu beantworten. Schließlich wäre Voraussetzung dafür, dass man umfassende Kenntnis im gesamten globalen Raum hat, und wer hat das schon?

Was nach Ansicht der alten wie der neuen „Rechten“ zu diesem Thema vonnöten sei, um die Fragestellung positiv zu beantworten, wäre eine Rückbesinnung auf verloren gegangene konservative Werte. Über die Benennung solcher Werte hat man sich allerdings kaum konkret ausgelassen. 

Zwar würde ich selbst mir in mancher Hinsicht eher mehr Progressivität wünschen, doch schließt das nicht aus, dass ich den Verlust einiger konservativer Werte absolut bedaure – vielleicht nicht jene, die die rechten Strategen vermissen. 

Das betrifft beispielsweise unsere Sprache: Muss denn alles ver-denglischt werden, was man in Rein-Deutsch ganz gut ausdrücken könnte? Mindert das nicht letztendlich den eigenen Wortschatz? Versetzt es nicht unsere literarischen Schätze der Vergangenheit in den Schatten musealer Relikte?                                                                                                                                        Das Skelettieren der Sätze Jugendlicher nach dem Sprachmuster junger Migranten ist zwar manchmal ganz witzig, doch leider wird es als normal empfunden und hat in der Zwischenzeit im Alltag und oft gar im Schulunterricht Einlass gehalten.                                                              Allerdings als Rapper kommt wahrscheinlich keiner ohne das Kauderwelsch auf einen grünen Zweig. So hat wohl auch dieses Problem seine zwei Seiten. 

Was man uns Deutschen nachsagt, ist eine gewisse Überheblichkeit. Ja, ich habe sie selbst erlebt bei Aufenthalten (hauptsächlich) in vermeintlich wirtschaftlich rückständigen Ländern. Es war mir oft peinlich. Doch den Eindruck, dass es eine typisch deutsche Marotte sei, musste ich nach der Wende alsbald umgehend revidieren: Was ich in dieser Hinsicht mit russischen Touristen an Urlaubsorten erlebte, übertraf alle meine diesbezüglichen Erfahrungen. Mir wurde klar: Verhaltensmuster sind in keinster Weise an eine Nationalität gebunden, sondern an Besitz und damit an Macht. Arroganz zu verstecken, ist offensichtlich nicht so einfach. Das durfte ich selbst (als einstiger Ossi) nach dem Fall der Mauer erleben, als wir „Rückständigen“ den Slogan verkündeten: „Mit Messer und Gabel können wir auch schon essen, und sogar Schnürsenkel sind uns nicht unbekannt.“

Inzwischen lassen wir ja nichts aus, was uns zum Übertrumpfen unserer Mitmenschen zur Verfügung steht. Es kam mir vor wie ein schlechter Witz, als man in einem Fernseh-Spot zeigte, (und das sogar in einem öffentlich-rechtlichen Programm!), wie sich zwei Herren an einem Tisch gegenübersitzen, sich freudestrahlend ansehen und sich gegenseitig verbal ihre Luxusgüter präsentieren: „Mein Auto,….mein Haus,….meine Yacht!“ Ob man damit etwas gegen die derzeit grassierende allgemeine Unzufriedenheit ausrichtet, wage ich ernsthaft zu bezweifeln. Ich befürchte, dass dieser singuläre Größenwahnsinn sich zur Pluralität hochschaukelt, vielleicht mit einem Slogan wie „Unsere Nation,…unsere Religion,….unsere Kultur!“                                     Auch, wenn ich in einer Demokratie gern Deutscher bin, aber von Prahlern, Blendern und Bluffern mich vertreten zu fühlen, schlägt mir auf den Magen.                                                                    Gegen die, zwar nicht allseits als erstrebenswert angesehenen, „Preußentugenden“ wie Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, hatte ich allerdings noch nie etwas einzuwenden.  

AUF BESTELLUNG?

Anlässlich seines Geburtstags ließ sich der derzeitige bayrische Dauer-Querschläger folgendermaßen feixend aus: „An meinem 69. Geburtstag wurden 69 Migranten ohne Aufenthaltsrecht abgeschoben,….ganz ohne, dass ich das so bestellt hatte!“

ZU BEGEHRLICH BLEIBT NICHT EHRLICH

SPRUCHWEISHEIT

Das scheint also kein ganz neues Problem zu sein – auch wenn ich es in meiner Kindheit und Jugend vermeintlich anders erlebt habe, wie mir in Erinnerung ist. Deshalb frage ich mich: Wo ist bloß diese einstige Ehrlichkeit geblieben? Warum hat man uns des fast zur Selbstverständlichkeit gewordenen Vertrauens beraubt? Oder ist diese Erinnerung nur ein der Vergesslichkeit zuzuordnendes Relikt?

Erfolge durch Betrug werden inzwischen allenthalben als Cleverness oder gar als Erfolgsgeheimnis gewertet. Das entsprechende Verhalten hat heute – wie es scheint – in Hinsicht eines gesunden Rechtsverständnisses den Stellenwert, den man einst einer harmlosen Mogelei zuordnete.

Dies als Normalität anzuerkennen, fehlt mir jedwede Spur von Toleranz. Vielleicht aber kann ich mit meiner Einstellung zu jenem Konservativismus dafür bei den Bayern-Häuptlingen, die sich die Rückbesinnung auf mehr konservative Werte auf ihr Banner geschrieben haben, einen Blumentopf gewinnen? Doch, wenn ich richtig schlussfolgere, wird da wohl nichts draus. Auf dem Gebiet wird man auch in Bayern gern weiterhin die moderne Variante bevorzugen.                                                                                       

Mit der Erfindung der sogenannten „Fake-news“ und deren Integration – nicht nur in unseren Sprachgebrauch – , hat man Wahrheiten in Frage gestellt und sich damit – je nach Bedarf – realen Fakten einschließlich deren Logik und einstiger Selbstverständlichkeit entledigt. Seither haben Lügereien Hochkonjunktur. Fake-news wurden gar als interpretierbar definiert: Ein Fakt oder eine Verlautbarung wird anerkannt oder auch nicht. Die Verharmlosung der Differenz zwischen Wahrheit und Lüge wurde zur alltäglichen Gepflogenheit.

Beim Fußball nennt man das: Vortäuschung, eine Schwalbe, und dafür gibt es die gelbe Karte, und bei Wiederholung die rote, und damit wird man vom Platz verwiesen.

WIR SIND DAS VOLK!

Vermutlich haben wohl unsere Presse- und Sendemedien Recht, wenn sie behaupten, dass Satire in unserem Land weder als Druckwerk die Erwartungen der Leser erfüllt, noch in den Sendebereichen die gewünschten Einschaltquoten befriedigt. Die Anzahl der Befürworter ist anscheinend zu gering. Satire sei eben nicht emotional und manchmal zu kompliziert – behaupten sie. Da fehle die deutsche Gemühhhtlichkeit wie beispielsweise bei den allseits beliebten Schlagerfestivals oder dem alltäglichen Blick hinter Gemäuer und in Belange Europas gekrönter Häupter. Und wenn schon Komik, dann eher ohne dieses politische Geschwafel, wie es zum Beispiel einige einfach nur witzigen Comedians mit Erfolg beweisen – ganz ohne Politik.  

Schade! Dann widme ich mich eben der Minderheit,………….

zumal es eine Garde absolut elitärer Satiriker zu nennen gibt, mit denen ich – in aller Bescheidenheit – wenigstens den Vornamen teile, wobei ich (ohne den Ehrgeiz auf Vollständigkeit) auf einige der genialen Namensvettern hinweisen möchte, wie: 

Dieter Hüsch, Dieter Hildebrandt, Dieter Hallervorden, Diether Krebs und Dieter Nuhr. Selbst der nicht nur von mir hochverehrte Vater der gehörnten Waldmöpse Loriot, der in seiner Jugend einmal mit dem Gedanken spielte, sich Dietrich von Pirol zu nennen, sollte ehrenhalber in den Kreis aufgenommen werden. Nur jener, der sonntags die Sendung „ttt“ moderiert, hat sich freiwillig zum Max gemacht. Vielleicht war das ein Fehlentschluss, der eine zu späte Reue nicht ausschließt.

Ich glaube ja nicht an Vorsehung, doch der Vorname Dieter muss wohl in den grauen Zellen der Träger dieses Namens etwas freisetzen, was die Wissenschaft noch nicht erforscht hat. 

Wenngleich Johann Wolfgang in seinem Faust die Behauptung aufstellt, dass der Name Schall und Rauch sei, so tendiere ich eher zu Titus Plautus, der uns wissen lässt: Nomen est omen.  

Übrigens! : Wie sich bei einer Suche nach dem Ursprung des Namens „Dieter“ zu meiner Überraschung herausstellte, verwiesen Namensforscher auf das Althochdeutsche „diet“ hin, dem man die heutige Bedeutung „Volk“ zuschreibt. Da können wir DIETER ja kritiklos mit vollem Recht  behaupten: Wir sind das Volk!  

HEIL!

Sie brüllen „Heil!“ Wollen sie denn geheilt werden? Ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt heilbar sind, die da grölend durch die Straßen laufen und den rechten Arm empor recken.      Schon ihre Vorbilder waren unheilbar.

Sie wünschen sich die Nazi-Diktatur zurück, die sie selbst nicht erlebt haben und singen: „…Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt!“

Sorgen wir dafür, dass ihnen weder das eine noch das andere jemals gehört.

UNVORHERSEHBARE KARIERE

Die von Journalisten mehr als ein Viertel Jahrhundert nach der Wende oft gestellte Frage an einstige DDR-Bürger nach ihrer persönlichen Zufriedenheit, beantworten selbst die hartgesottensten Gestrigen mehrheitlich positiv. Manch einer sogar euphorisch.

Als ich unlängst meine örtliche Sparkassenfiliale aufsuchte, um eine Fehlabbuchung mit einer Null zu viel vor dem Komma korrigieren zu lassen, verwies mich die junge Angestellte an den Chef, Herrn Bradhering ….. „aber mit De statt Te !“, wie sie lächelnd hinzufügte  Immerhin – egal ob mit De oder Te – ein außergewöhnlicher Name, der mich allerdings an einen ehemaligen Klassenkameraden dieses Namens erinnerte. Ich fand ihn damals gar nicht so schräg, da Ecki, wie wir ihn nannten. vom Darß stammte. Vielleicht hatten seine Vorfahren die Zubereitung jenes Gerichts – allerdings mit T – einmal erfunden.

Chef Bradhering stellte sich als beleibter, freundlicher Mittfünfziger heraus, dem eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem einstigen Klassenkumpel nicht abzusprechen war.

Neben erfolgreicher Korrektur der Null einschließlich einer Entschuldigung, erfuhr ich schließlich auch das Verwandtschaftsverhältnis. Er war Eckis Sohn..   

Über seinen Werdegang – wie ich mich erinnerte – hatte mir Ecki bei einem unserer späteren Klassentreffen berichtet. Als Vater, der wie selbstverständlich sich erfolgreiche Nachkommen gewünscht hatte, gab er seiner Enttäuschung über die Berufswahl Ausdruck. Eine akademische Laufbahn seines Sohnes Maik hätte ihn mit Stolz erfüllt.

So aber hatte Maik Ende der siebziger Jahre nach der zehnten Klasse in einer Brandenburgischen Kleinstadt eine Lehre als Bankkaufmann bei der örtlichen Sparkasse aufgenommen, da sein Zensurendurchschnitt für einen Platz in der Erweiterten Oberschule mit Abi-Abschluss höchstens dazu ausgereicht hätte, sich vorzeitig zu verpflichten, um nach dem Abitur eine Offizierskariere bei der NVA anzutreten. Davor riet ihm Vater Ecki jedoch ab, was Maik schon insofern akzeptierte, da Khaki und Grünbunt nicht nach seinem Geschmack waren. Alsbald empfand er jedoch, dass er auch als läppischer Bankkaufmann wohl die Arschkarte gezogen hatte, wie er sich seinerzeit ausdrückte, da im A.- und B.-Staat dieser Beruf weder ein privilegiertes Image hatte noch Maiks monatliche Bedürfnisse abdeckte.Als Klempner zum Beispiel konnte man – wie sein Busenfreund Timmi – nach Feierabend noch richtig Knete machen – und das sei ja letztendlich der eigentliche Sinn eines Jobs. Sein einziger Trost war lediglich, dass man weder in anderer Leute Scheiße rumstochern musste, noch sich jedweden Witterungsunbilden aussetzen musste.

Doch es war schon ärgerlich, dass er die Gelegenheit nich wahrnehmen konnte, als ihm ein achtzigjähriger Nachbar, dem er ab und zu einen Gefallen tat, seinen erst fünf Jahre alten Trabi anbot, und das lediglich zum Neupreis. Er hatte eben das nötige Sümmchen nicht. Für einen popligen Sparkassenangestellten war selbst so ein Schnäppchen unbezahlbar..

So dümpelte er dahin, und wenn er die flotte Frisörin Peggy nicht kennen gelernt hätte, die neunzig Prozent ihres damit hinreichenden Auskommens aus Trinkgeldern und Feierabendkundschaft bestritt, wären die Wochenenden samt der Disco-Abende recht ernüchternd ausgefallen.

Aus Dankbarkeit schwängerte er Peggy alsbald, um in der Folge noch rechtzeitig vor den Vaterfreuden in den Hafen der Ehe einzulaufen und damit das Recht auf Antrag für eine Wohnung zu erwerben.

Das alles aber ist nur die Vorgeschichte jenes nicht vorhersehbaren Aufstiegs in einem Land mit freier Wirtschaft, in dem man nunmehr als Bankkaufmann auch ohne Feierabendjob sein gesichertes Auskommen samt Image hat. 

„Grüßen Sie ihren Vater von mir!“, sagte ich beim Abschied. „Er wird sich sicher noch gern an gemeinsame – sagen wir Erlebnisse – erinnern. Wie geht es ihm?“ Bradhering Junior schmunzelte. „Irgendwann nach der Wende überraschte er mich, als er mich ansah und sagte: „Vielleicht hätte ich statt Kunstgeschichte zu studieren, eine Banklehre vorziehen sollen.“  

KOKETTERIE

Der Hang zur Koketterie ist innerhalb der Altersstrukturen in unserer heutigen Gesellschaft höchst unterschiedlich: Während die Alten damit kokettieren, dass sie auch ganz gut ohne die neuen Medien zu beherrschen leben können, kokettieren die Jungen mit der Entbehrlichkeit unnötiger Kenntnisse in Mathe und Rechtschreibung.

LENNY

Mein Urenkel Lenny brachte am letzten Schultag vor den Sommerferien sein Zeugnis mit dem Vermerk der Versetzung in die dritte Klasse nach Hause.

Beim Studium der Einschätzungen seines Verhaltens und seiner Leistungen habe ich am Ende laut gelacht. Nicht nur darüber, dass Brandenburgs Lehrer der Grundschulklassen derzeit auf dem Zeugnis mit lediglich ein paar Dutzend Kreuzen und einer Unterschrift auskommen. Trotzdem hatte ich im Vergleich zu eigenen Erfahrungen und jenen der von Sohn und Enkel hinsichtlich des Verständnisses von Schulzeugnissen meine Probleme. Die „gute alte Zeit“ bescherte den Schülern  lediglich Noten von eins bis sechs, das hieß: von sehr gut bis ungenügend. Kreuze waren eher als Unterschriften von Analphabeten üblich.

Die heutigen Kreuze, nunmehr auf drei DIN-A4-Seiten in vorgedruckte Rubriken eingetragen, die zusätzlich in jeweils in vier verbal benannte Qualitätsmerkmale unterteilt sind, habe ich für mich aus rein logischen Erwägungen und zum besseren eigenen Verständnis als Zensuren von eins bis vier eingestuft.Dadurch versuchte ich mir nach altem Vorbild eine leidlich reale Einschätzung zu verschaffen.

Neben der Minderzahl an althergebrachten Lehrfächern gab es da ein Übermaß an Sonstigem wie:  Soziales Verhalten, Aufmerksamkeit, Mitarbeit, persönliche Aktivitäten und vieles mehr.

In den meisten der angekreuzten Rubriken lag die Beurteilung meines Urenkels nach meiner Definition zwischen eins und drei. 

Nun aber kommt meine Lachnummer. Drei Fächer wurden jeweils in sämtlichen vorgegebenen Aspekten mit eins beurteilt. Das betraf: Sport, Musik und Religion.

Ich konnte mir dabei nicht verkneifen, heimlich Lenny ein raffiniert zukunftsträchtiges Verhalten zu unterstellen. Als Spitzensportler muss man um ein gutes Einkommen nicht bangen, als Schlagerfuzzi lässt der „Ballermann“ nicht nur kein Auge trocken, sondern auch kein Konto leer;  und nach einem Theologie-Studium kann man auf einen gut dotierten Posten in der Politik hoffen.

Somit habe ich keinerlei Einwände gegen das Ergebnis, auch wenn für mich jene Form von Schulzeugnis etwas gewöhnungsbedürftig war.